7. Etappe: Fromista - Sahagu
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Montag, 17. Mai 2010 - 62 Kilometer
8:30
Es wird heute wieder ein richtig schöner Tag, obwohl es zur zeit noch bitterkalt ist. Ich sitze wieder einmal auf einer Bank vor der Kirche San Lorenzo. Es gibt auf diesem Weg einfach unglaublich viele schöne Kirchen. Obwohl ich zu Hause ein gespaltenes Verhältnis zur Kirche als Institution habe, suche ich auf dem Camino regelmässig die Nähe von kirchlichen Bauten. Ich komme hier zur Ruhe und spüre die Erhabenheit des Weges.
11:00
Ich sitze vor dem Monasterio de Santa Clara in Carrion des los Condes. Ich habe das Gefühl, dass ich zwei Reisen gleichzeitig mache, eine äussere von den Pyrenäen zum Meer und eine Innere vom Meer zur Quelle.
Vor einer Bar irgendwo im Niemandsland trinke ich ein Bierchen und geniesse die Sonne. Hinter mir sitzt eine bestimmt über 65 jährige Engländerin. Sie erzählt einer Australierin, dass sie den Weg nicht mehr zu Fuss weitergehen könne, weil sie so viel Schmerzen habe. Dennoch könne sie nicht einfach heimreisen, weil sie das als Verrat an den Pilgern sehen würde. So reise sie jetzt einfach mit dem Taxi von Ort zu Ort und unterstütze die ankommenden Pilger moralisch und oft auch mit einem Bier. Bis ich losgefahren bin, haben die beiden Frauen schon einen ausgewachsenes Räuschlein und ihr Lachen ist wirklich herzerweichend.
15:25
Ich sitze schon wieder auf einer Bank von einer kleinen Kirche in San Nicolas. Ich bin heute viel zu schnell vorangekommen. Wenn ich jetzt durchfahre, bin ich ein einer halben Stunde in Sahagun, meinem Etappenziel. Physisch geht es mir blendend. Ich habe keinerlei Ermüdungserscheinungen oder Schmerzen. Ich habe noch zwei Etappen auf der Meseta (Hochebene) vor mir, bevor es auf den höchsten Punkt der Reise, den Cruz de Ferro geht.
17:03
Bin in Sahagun angekommen. Weil beide offiziellen Refugios viel zu gross bzw. viel zu viele Pilger darin waren und kaum Fenster vorhanden waren, habe ich mir eine Privatunterkunft der Extraklasse geleistet. Ein Einzelzimmer für 25 Euros! Was für ein Glücksfall. Ich setzte mich in den grossen Patio und rauche genüsslich eine Zigarre und beobachte die ankommenden Pilger. Ihre Gesichter sind von all den Strapazen gezeichnet.
Neben mir sitzt ein Holländer und erzählt mir von seinen Erlebnissen. Gestern z. B. habe er im Refugio kein Auge zugedrückt. Ein spanischer Pilger habe in der Nacht ca. alle 30 Minuten laut geschrieen, ohne dass er selber aufgewacht sei. Nachdem alle durch dieses mordio Gezeter wach geworden seien, habe sich der Sünder schon wieder im süssesten Schlaf befunden. Ein bisschen später gesellt sich ein Finne mit seinem Sohn zu uns. Ich frage ihn, ob das mit ihnen beiden denn gut geht auf dem Weg. Er meint, dass sie sich schon manchmal ziemlich gegenseitig nerven und dann auch tagelang alleine marschieren. Im grossen Ganzen sei es aber eine Bereicherung.
Jetzt meldet sich der äussere Pilger. Ich habe langsam Hunger. Bis jetzt habe ich mich viel zu oft von Salami und Rotwein ernährt. Heute braucht es eine richtige Mahlzeit. Also gehe ich zu Fuss in die Stadt und hauhe mir so richtig den Bauch voll. Auf dem Nachhauseweg setzte ich mich auf der Brücke, die über die Eisenbahnlinie führt, auf eine Mauer und geniesse die letzten Sonnenstrahlen über der Weite des Landes.
Im Zimmer angekommen, erfreue ich mich an meinem Luxus. Adios los schnarchos; heute findet euer Konzert ohne mich statt!
Wahrscheinlich habe ich bis heute etwas die Hälfte des Weges hinter mich gebracht. Ich habe aber nicht mehr die Kraft, eine Rückschau zu halten und schlafe selig ein. Plenus venter non studet libenter - Ein voller Bauch studiert nicht gern.
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