4. Etappe
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Freitag den 14. Mai 2010 - 69.5 Kilometer
07:26
Ich habe eine weitere Nacht im Refugium verbracht und bis gegen 7 Uhr geschlafen ohne einmal aufzuwachen. Man muss wissen, dass dies unter den Pilgern geradezu als Ausschlafen gilt. Pilger stehen im Normalfall sehr frü auf. Oft sind sie schon vor 5 oder 6 Uhr auf dem Weg. Teilweise aus Angst, dass sie keine Unterkunft bekommen und teilweise wegen der grossen Hitze, die am Nachmittag oft herrscht. Wer nach 8 Uhr noch im Schafsack ist, muss krank sein oder völlig verzweifelt. Wie fast immer, bin ich einer der Letzten, der die Unterkunft verlässt. Ich habe mir heute als Tagespensum ziemlich genau 70 Kilometer vorgenommen.
8:26
Es ist eiskalt und der Wind bläst mir mit ganzer Wucht in Gesicht. Ich fahre in voller Winterausrüstung los. Ich hätte lieber Regen und dafür höhere Temperaturen. Aber der Pilger muss einfach nehmen, was kommt.
11:30
Ich bin in Azofra, ein kleines Nest, 8 Kilometer westlich von Najera; endlich lacht die Sonne und der Wind hat sich ein bisschen gelegt.
13:00
Ich bin in Sto. Domingo de la Calzada, welches noch in der Region Rioja liegt, angekommen; wunderschöne Altstadt mit gotischer Kathedrale. Ich schlendere durch die engen Gassen der Altstadt, trinke einen Espresso und ein Bierchen und fühle mich wieder mal so richtig wohl. Vor der Kathedrale treffe ich eine französische Pilgerin, die mit dem Pferd unterwegs ist. Auf dem windgeschützten Vorplatz der Kathedrale ist es richtig warm, so dass ich mich eine Stunde auf den Boden lege und ein Sonnenbad geniesse. Was für eine Wohltat nach dem morgendlichen Frost.
Gut gestärkt und genährt mache ich mich auf den Weg. Ab jetzt fahre ich den Rest bis nach Belorado auf dem Camino. Der Naturweg ist breit genug für die Fuss- und die Fahrradpilger, so dass wir uns nicht in die Quere komme. Immer wenn ich auf dem Originalweg fahre, bin ich irgendwie näher dran.
18:19
Ich bin in Belorado angekommen und habe ein ordentliches Refugio mit Dusche und Heizung für 5 € bekommen. Im Moment habe ich eine geschärfte Intuition, wohin ich gehen muss und welche Orte ich meiden sollte. Ich fühle mich irgendwie geführt. Ich hätte niemals gedacht, dass ich mich in den Refugios so wohl fühlen kann. Ich habe am Abend jeweils das Bedürfnis, unter Menschen zu sein, wenn ich schon den ganzen Tag über alleine bin.
20:31
Habe mit einer älteren deutschen Frau gegessen. Sie hat sozusagen die Luxusvariante des Pilgerns gewählt. Ihr wird am Morgen jeweils das Gepäck abgenommen und zum nächsten Etappenhotel gefahren, wo sie gegen abend auch selber erwartet wird. Schon möchte ich aufbegehren und ihr vorhalten, dass dies wohl nicht mehr viel mit Pilgern zu tun hat. Dann aber halte ich mich zurück und denke, dass es doch jeder auf seine Art tun soll. Ich, selber mit dem Fahrrad unterwegs, habe wohl keine Berechtigung, dieser alten Frau zu sagen, was richtig ist. Da sie selber fast keinen Wein trinkt, muss ich auch bei ihrer Flasche noch mithelfen (zu jedem Pilgermenu gibt es eine Flasche Wein). Wahrscheinlich könnte ich in diesem Zustand auch ohne Ohrenstöppsel das Geschnarche überstehen. Heute habe ich mich wirklich der Völlerei hingegeben und ich gelobe Besserung! Zum Glück ist das Restaurant nur etwa 2 Gehminuten vom Refugio entfernt, so dass ich den Weg ohne grössere Mühe zurücklegen kann. In der Unterkunft treffe ich auf einen der älteren Holländer, die mich gestern überholt hatten. Er erkennt mich auch und spricht mich an. Ich weiss nicht, ob ich unter dem Einfluss des Weingeistes Holländisch verstehe oder ob er Deutsch spricht. Irgendwie scheinen wir uns zu verstehen. Und dann ab in die Federn und ...scnchchchchch..pffffffff; Ohrenstöpfsel rein und ich bin im Reich der Träume.
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