2. Etappe: Bilbao - Estella

Die in den Karten angezeigten Routen stimmen nur ungefähr mit den tatsächlich gefahrenen überrein. Die verwendeten Karten (Massstab) lassen keine genauere Routenführung zu.


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Mittwoch, den 12. Mai 2010 - 50 Kilometer

06:06

Habe gut geschlafen. Ich muss heute mein Gepäck umorganisieren. Ich habe viel zu viel mitgenommen und muss daher ein Paket schnüren, dass ich nach Hause senden werde. Es ist wie im wirklichen Leben, man ist mit viel zu viel Gepäck unterwegs und verspielt sich damit die Leichtigkeit des Seins.

07:23

Packung erstellt, was schon ziemlich viel Kraft braucht. Ich sitze in einer Bar und trinke Kaffee und esse ein Speck-Käse-Sandwich; mein Cholesterinspiegel wird bis Santiago Alarmwerte erreichen, wenn ich mich weiter so ernähre. Meine melancholische Stimmung hat sich noch nicht verzogen. Wie auch bei dem tristen Wetter? Im Moment klammere ich mich förmlich an mein Tagebuch, es gibt mir Halt. Vielleicht sollte ich auch im wirklichen Leben schreiben, das hat eine ungemein befreiende Wirkung. Ich fahre zur Bushaltestelle, warte und friere, weil ich viel zu früh unterwegs bin. Dann endlich fährt der Bus ein und ich kann einsteigen. Zum Glück sind noch zwei Deutsche Radpilger im Bus, mit denen ich mich glänzend unterhalte. Sie sind mit Mountainbikes unterwegs und wollen den Originalweg befahren. Wir sprechen uns gegenseitig Mut zu und lachen etwas lauter, als es die Situation eigentlich vertragen würde. Es zeigt sich, dass noch mehrere Deutsche und Österreicher im Bus sind, die sich an unserem Geschwätz beteiligen. Ein erstes Mal verspüre ich, dass es zwischen den Pilgern ein unsichtbares, inneres Band gibt.

Um 12:00 fahren wir planmässig in Pamplona ein. Ich erstelle so schnell wie möglich die Packung, verabschiede mich von den Jungs und fahre los. Weil ich nach so langer Vorbereitung und Planung endlich auf dem Camino fahren will, nehme ich mir auch keine Zeit, Pamplona anzuschauen. Bei diesem Wetter würde das auch keinen Spass machen. Ich versuche mit meinem GPS klar zu kommen, was anfänglich gar nicht so einfach ist. Irgendwie, mehr intuitiv als geführt, schaffe ich es bis zur Universität von Pamplona, wo ich mir meinen Pilgerausweis beschaffe. Und da sehe ich zum ersten Mal einen gestandenen Pilger, der irgendwo im Kernland von Frankreich gestartet ist und seit mehrere Wochen unterwegs ist; was für ein Anblick! Mit Bart, Pilgerstock, ausgemergelt und mit dem unverkennbaren Blick des Pilgers! Ich spreche ihn an und frage nach seinen Erfahrungen. Schwerfällig bemüht er sich um ein zwei Sätzchen und zieht dann weiter.

Zunächst halte ich mich peinlichst genau an den Routenvorschlag meines Reiseführers (bikeline). Dieser führt mich auf der Nationalstrasse 1110 über den Pass Puerto del Perdon (673 Meter ü. M.). Obwohl es den Fusspilgern noch viel schlimmer geht - sie müssen über den Alto del Perdon - ist auch der Einstieg für die Radpilger nahrhaft. Einige Radpilger haben mir später erzählt, dass man den Alto del Perdon mit dem Fahrrad doch besser so umfährt, wie ich das getan habe.

Schon nach wenigen Kilometern kommt man zu einem der Höhepunkte der Pilgerreise, Puenta la Reina. Erst noch im Flugzeug und im Bus und jetzt schon mitten drin! Die Schönheit dieses Ort steht so unerwartet vor mir, dass ich gar nicht richtig darauf vorbereitet bin. Etwas ziellos fahre ich durch die Stadt und mache einige Fotos. Eigentlich würde ich gerne länger bleiben. Da ich aber noch so viel Weg vor mir habe, widerstehe ich der Versuchung und fahre weiter.

Dann komme ich endlich in Schwung und fahre bis Estella. Da ich immer noch ein bisschen unsicher bin, steuere ich gleich die erste Pilgerunterkunft an, was sich als Glücksfall herausstellt.
Ein kleines Refugio, von der Kirche, bzw. von Freiwilligen geführt! Es gibt nur ein Zimmer mit 14 Betten. Übernachtung inkl. Abendessen mit Wein ist gratis, Spenden sind erwünscht. Wir essen und trinken bis spät in die Nacht und das war auch gut so, wie sich beim Betreten des Zimmers sofort herausstellte. Das Schnarchen im Schlafsaal ist einfach unbeschreiblich! Ohne genügend Wei intus und ohne die unverzichtbaren Ohrstöpsel wäre an Schlaf nicht zu denken. Dieses Schnarchen begleitet den Pilger bis nach Santiago. Empfindsameren Seelen sei daher unbedingt geraten, entsprechende Ausrüstung mitzunehmen.

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