8. Etappe: Sahagun - Leon


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Dienstag, 18. Mai 2010 - 58 Kilometer

Ich habe herrlich geschlafen, wie Gott in Frankreich.

Je härter meine Muskeln werden, desto weicher wird mein Herz!

Heute habe ich mich endlich dazu durchgerungen, einen Teil meines Übergepäcks nach Hause zu senden; gerade noch rechtzeitig vor den grossen Pässen. Kaum ein Pilger, der nicht diese Erfahrung macht. Man ist auch im wirklichen Leben mit viel zu viel Gepäck unterwegs.

Ich bin auch heute in bester Kondition. Die morgendliche emotionale Instabilität, die mich seit Beginn der Reise etwas plagt, zeigt sich heute nicht. Es ist aber auch wieder ein prächtiges Wetter und da fällt einfach vieles leichter.

11:10

Habe einer der schlimmeren Abschnitte des Caminos hinter mir. Der Weg geht über lange Zeit neben der Autobahn und überall wird gebaut. Jetzt zeigen sich natürlich wieder die Vorzüge des Fahrrads. Für einen Fusspilger bedeuten diese 20 Kilometer eine ganze Tagesetappe. Ich hingegen bringe diesen Abschnitt in zwei Stunden hinter mich.

12:20

Wenn ich weiter so viel Schweinefleisch esse, dann werde ich in der Nacht auch Schreie von mir geben. Jetzt ist der Weg wieder ruhig und schön. Bei der letzten Pause habe ich eine ältere Pilgerin beobachtet, die mir völlig erschöpft schien. Sie hatte kaum noch die Kraft, ihren Rucksack abzuziehen. Sie hatte bestimmt 15 Minuten gebraucht, um einen Stein aus ihrem Rucksack zu klauben und diesen unter ein steinernes Kreuz zu legen, das am Wegrand stand. Welche Last hat sie da wohl abgelegt? Ich wollte sie zuerst fragen, habe es dann aber sein lassen. Sie liess sich dann völlig erschöpft ins Gras fallen und blieb dort liegen. Ihre Reise hat hier wohl geendet; sie war einfach zu erschöpft.

Ein paar Kilometer vor Leon habe ich einem älteren Pärchen, welches mit dem Fahrrad unterwegs war, geholfen, ihre Bremsen zu reparieren. Nach dem Strahlen ihrer Gesichter muss ich ihnen wie ein Engel vorgekommen sein. Jetzt hat sich auch noch der Reparaturkurs ausbezahlt, den ich noch kurz vor der Abreise besucht habe. Ich habe bis Leon von meiner Heldentat gezerrt.

Und dann bin ich endlich in der Stadt mit diesem majestätischen Namen, Leon. So eine Stadt hat eine unglaublich starke Verführungskraft. Das merkt man erst, wenn einem die Weite der Meseta empfänglich für die Reize der Sinne gemacht hat. Mein innerer Pilger zieht sich bei diesem Grossstadtlärm sofort in seine Klause zurück.

Ich finde relativ schnell ein günstiges und gutes Hotel in der Nähe des Zentrums. Nachdem ich das Fahrrad gut abgeschlossen in einem Innenhof deponiert habe, kann ich endlich wieder einmal zu Fuss unterwegs sein. Ich habe das Laufen schon fast verlernt. Ich geniesse es unterwegs zu sein, ohne ständig auf das Gepäck und mein Material aufpassen zu müssen.

17:59

Ich sitze in einer Strassenbar, trinke mein Bierchen und rauche eine Zigarre. Die Einsamkeit schleicht sich wieder ein. Richtig einsam kann man eigentlich nur unter Menschen sein. Ich würde jetzt sehr gerne ein gutes Gespräch führen. Die Einsamkeit ist wie eine alte Witwe, die über den Tod ihres Mannes nicht hinwegkommt, den sie gar nie geliebt hat! Als ob meine Frau geahnt hätte, dass die Witwe bei mir zu Besuch ist, hat sie mir Zeichnungen, welche meine Töchter für mich gemalt haben, auf mein Handy gesendet. Sie haben mich auf meinem Fahrrad gezeichnet mit einem Regenbogen über mir.

Anstatt zum Nachtessen zu gehen, bin ich in die Kirche gegangen. Diese Stunde hat mir wirklich gut getan. Ich bin wieder ruhig und bei mir. Am Schluss hat der Padre alle Pilger nach vorne gebeten, um sie zu segnen. Eigentlich wollte ich auch nach vorne, habe mich aber irgendwie nicht getraut! Als die Pilger alle mit Tränen in den Augen zurückkamen, habe ich mich geschämt. Und ehe der Hahn dreimal kräht.......! Hier ging es nicht um eine Frage der Konfession, sondern um ein Bekenntnis zur Pilgerschaft. Wie kleinmütig ich doch manchmal bin.

Obwohl ich im Hotel bin, muss ich mit Ohrstöpseln schlafen, weil irgendwo in der Nähe Musik und lauter Gesang zu hören ist. Dabei will ich doch endlich schlafen und diese Stadt vergessen.

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